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Alltagsrassismus


"Wir sind rassistisch sozialisiert worden. Wie bereits viele Generationen vor uns. Es ist nicht leicht, diese soziale Brille abzunehmen und eine rassismuskritische Sichtweise zu entwickeln. Aber: Es ist nicht unmöglich".
[Tupoka Ogette]

Wir alle sind dazu aufgefordert, uns Wissen anzueignen und uns empfindlich zu machen für Rassismus — seinen Ursprung, seine Wirkungsmacht, seine Äusserungsformen und seine Konsequenzen.

Der Duden definiert Rassismus als „oft implizit oder unterbewusst praktizierte Lehre beziehungsweise Geisteshaltung zur Rechtfertigung von Diskriminierung, nach der bestimmte Menschengruppen aufgrund willkürlich festgelegter äußerer Merkmale anderen generell überlegen seien.“ Rassismus als Geisteshaltung hat viele Dimensionen und wird auf verschiedenste Weise geäussert. Von Rassismus Betroffenen sind dabei selbst eine heterogene Gruppe. Beispielsweise sind Menschen rassistischer Diskriminierung ausgesetzt aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft, Sprache oder Religion. Wenn eine einzelne Person von mehreren Diskriminierungszusammenhängen betroffen ist, spricht man von Intersektionalität. Verschiedene Äusserungsformen von Rassismus sind beispielsweise institutioneller Rassismus, Alltagsrassismus, 'positiver' Rassismus oder internalisierter Rassismus, um nur einige Nuancen zu nennen. Wir wollen in diesem Artikel insbesondere auf Alltagsrassismen eingehen.

Alltagsrassismus ist eine dich im alltäglichen Leben ständig begleitende Abwertung deiner Person aufgrund dir selbst unerklärlichen, zugeschriebenen Merkmale und Zugehörigkeiten. Er hinterlässt Spuren: seelisch, körperlich, geistig. Diese nachhaltig verletzende Form von Rassismus trifft dich insbesondere in unerwarteten Situationen und manchmal sogar von Freund*innen oder Familie. Getarnt in Witzen, in unbewusst geäußerten Vorurteilen, aber auch im absichtlichen Nicht-Beachten von Personen of Color kommt Alltagsrassismus zum Vorschein.


Weil Alltagsrassismus oft mit einem Lächeln daherkommt, verpackt in Sätzen wie „Woher kommst du?“ – „nein, ich meine wirklich?“, wird er oft nicht als ‘echter’ Rassismus anerkannt. Es sind scheinbar alltägliche, vermeintlich ‘nett’ gemeinte Äußerungen, die für die angesprochene Person als Mikroaggressionen (1) wirken. Sie senden abwertende Botschaften oder deuten unterschwellig an, dass die betroffene Person zu einer anderen Gruppe gehöre, also nicht zugehörig sei. Dabei ist es egal, wie sich die Person selbst bezeichnet und benennt. Ein riesiger, sich für Betroffene immer wieder auftuender Wirbelsturm an Rechtfertigungen ist die Folge. Grenzüberschreitungen, wie nach drei Sätzen Smalltalk bereits Fragen zum persönlichen Familienstammbaum mit den dazugehörigen Lebenserfahrungen beantworten zu müssen, sind respektloser Alltag.


Gerade die Tatsache, dass gar nicht bemerkt wird, dass die eigene Aussage oder Handlung rassistisch war, macht es für die Empfänger*innen, besonders schwer. Für sie stellt sich jedes Mal die Frage: "Soll ich etwas sagen? Muss ich jetzt diese Diskussion führen". Das kann auf Dauer unglaublich belasten. Zugleich haben persönliche Interessen keinen Raum und damit scheinbar keine Relevanz in diesen Gesprächen: "wieso fragt eigentlich niemand nach meiner Lieblingsfarbe?" "ich bin doch eigentlich hier wegen der Band." "und wieso muss ich mir wieder irgendwelche Urlaubsgeschichten reinziehen?".


Die Handlungen, Fragen oder Aussagen können aber auch offensiv abwertend sein: darunter fällt die Straßenseite zu wechseln, die Handtasche fester zu halten oder im Bus aufzustehen, wenn sich eine Person of Colour daneben setzt; aber auch die Verwendung offen rassistischer Begriffe wie das „N“ oder „Z“ Wort damit zu verteidigen, dass man das schon immer so gesagt habe. Damit einher geht die Ignoranz starker Stimmen unserer Gesellschaftsmitte, die laut und deutlich erklären, wie sich Betroffene und somit ganze Gruppen davon verletzt sehen. Die Darstellung in Filmen bei denen herabwürdigende oder framende (2) Rollen an BIPoC gegeben werden, kann für betroffene Menschen zermürbend sein. Dabei sind die betroffenen Personengruppen unbegründet unterrepräsentiert in Politik, Medien und Institutionen. Die Folgen sind gravierend: internalisierter Rassismus, eine gefühlte Isolation und ein Erleben von Handlungsunfähigkeit gegenüber strukturellem Rassismus.


Deshalb ist unser Apell: Wir alle müssen lernen rassismuskritisch zu leben. Dabei sind die Betroffenen NICHT unsere Pädagog*innen. Es gibt zahlreiche Wege sich Wissen anzueignen und gleichzeitig die Arbeit, die seit Jahrhunderten geleistet wird, zu würdigen - in Wissenschaft, Literatur, Kunst, Theater, Medien, Filmen und Videos. Einige davon findest du verlinkt auf unserer Website unter dem Reiter "Empowerment"

.


Was du direkt gegen (Alltags-)Rassismus tun kannst? Die Autorin Tupoka Ogette gibt in ihrem Buch «Exit Racism», in Kapitel 9 «Raus aus Happyland» praktische Tipps, wie wir alle lernen können im Alltag Rassismuskritischer zu denken und zu handeln.

Dieses Buch sprechen wir die sehr nachdrücklich als Leseempfehlung aus.


1. Wissen ist Macht. Je größer dein Wissen über Rassismus und Diskriminierung ist, desto mehr wirst du verstehen. Umso größer ist die Chance Situationen rassistische Situationen zu erkennen und eingreifen zu können. Es liegt an dir, dir die nötigen Informationen anzueignen.

Podcasts, Filme, Bücher, Social Media usw. sind gute Quellen dich weiterzubilden.


2. Sprich nicht für sondern mit Schwarzen und People of Color.

Stelle keine Behauptungen auf, wie sie sich fühlen oder wie sie Rassismus empfinden. Schiebe nicht deine Freunde of Color vor oder missbrauche sie als dein Alibi. Nimm dir Zeit und sprich mit deinen Freunden of Color.


3. Hör ehrlich zu!

Je mehr Perspektiven du kennenlernst, desto offener wirst du.

Frage die Menschen, die du kennst, die von Rassismus betroffen sind, ohne sie dabei unter Druck zu setzen oder zu bevormunden, nur sie selbst entscheiden ob, wo und inwiefern sie sich dir öffnen möchten. Werde dabei nicht defensiv wenn du etwas hörst, das dir nicht gefällt


4. Mach keine Pause vom Antirassismus.

Schwarze und People of Color können sich selbst keine Pause vom Rassismus nehmen. Also steh Ihnen bei. Sei nicht still. Auch innerhalb deines Freundeskreises solltest du gegen Rassistische Handlungen und Äußerungen aufstehen und einstehen.


5. Schau nicht weg.

Wenn du Rassismus miterlebst, sag etwas, IMMER! Nicht weil du schwarzen Menschen oder People of Color helfen willst. Sondern weil DU nicht in einer Gesellschaft leben willst, in der Rassismus zum Alltag deiner Mitmenschen gehört.


6. Stelle dich.

Auch wenn Situationen sich so entwickeln, dass DU dich dabei unwohl fühlst, wechsle nicht das Thema. Tu es nicht ab und lenke nicht ab. Wenn das Thema Rassismus ist, dann sprich darüber und nicht darüber, dass es auch DIR schlecht geht.


7. Erkenne deine Privilegien.

Übernimm Verantwortung für diese. Erkenne sie als Teil deiner Realität an. Nur wenn wir anerkennen, dass unsere Welt ungerecht ist, können wir diese Ungerechtigkeit bekämpfen.


8. Gib nicht auf.

Rassismus bekämpfen ist ein über Generationen andauernder Kampf. Nichts, was sich von heute auf morgen verändern kann. Es ist mit Anstrengung verbunden und kann ermüden.

Suche dir Gleichgesinnte, die dich auf deiner Reise begleiten. Sei realistisch, bleib aber positiv.


9. Nimm Feedback an. Solltest du je Feedback erhalten, dass etwas was du gesagt oder getan hast rassistisch war.

Widerstehe der Versuchung in eine Abwehrhaltung zu gehen. Denke ehrlich darüber nach und reflektiere dich selbst.





(1) Der Begriff Mikroaggression wurde 1970 vom US-Psychiater Dr. Chester Pierce geprägt, der damit Äußerungen beschreibt, mit denen Weiße Menschen BIPOC abwerten und entwürdigen.

Ein Zitat der ‚Zeit‘ Redakteurin Vanessa Vu beschreibt Mikroaggressionen wie folgt: „Man kann sich das wie Nadelstiche vorstellen: Ein Pikser verletzt kaum, aber alle paar Tage gestochen zu werden, macht die Haut wund. Und niemand bringt Salbe. Niemand entschuldigt sich. Niemand fragt, was er oder sie für mich tun kann. Die Leute beschweren sich stattdessen über meinen Schmerz, etikettieren ihn als Diskursunfähigkeit und reden darüber, wie sie es gemeint haben." Um noch mehr Verständnis zu entwickeln, empfehlen wir euch hierzu das Video „How microagressions are like mosquito bites“ (Fusion Comedy): https://www.youtube.com/watch?v=hDd3bzA7450



(2) Framing ist ein Prozess einer Einbettung von Ereignissen und Themen in Deutungsraster. Komplexe Informationen werden dadurch selektiert und strukturiert aufbereitet, sodass eine bestimmte Problemdefinition, Ursachenzuschreibung, moralische Bewertung und/oder Handlungsempfehlung in der jeweiligen Thematik betont wird. Mithilfe von Frames lässt sich etwa begreifen, weshalb in der westlichen Berichterstattung häufig Themen wie Islam und Terrorismus in Verbindung gebracht werden. Politische Wahlkämpfe werden im Journalismus gerne mit Pferderennen verglichen, sodass der Wettkampf-Charakter in den Vordergrund tritt. Ein drittes Frame-Beispiel wäre die David-gegen-Goliath-Metapher, mit der in der Vergangenheit etwa der Israel-Palästina-Konflikt gerahmt wurde. Damit wurde er auf den Kampf zweier ungleicher Gegner reduziert, wobei der vermeintlich unterlegenen Partei Sympathie entgegengebracht wird.



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